Schweiz
Abstimmungen 2024

Abstimmungen im November: Efas und die wichtigsten Argumente erklärt

Gesundheit
Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung sorgt in der Schweiz für Unmut.Bild: alamy

Du hast keine Ahnung, worum es bei EFAS geht? Wir erklären es dir kurz und knackig

29.10.2024, 10:3429.10.2024, 15:12
Mehr «Schweiz»

Prämienschock, Prämienrechner, Prämienentlastung – Begriffe wie diese scheinen in den Medien derzeit omnipräsent. Die Schweiz diskutiert schon lange, wie die steigenden Gesundheitskosten gebremst und gedeckt werden können. Nun kommt ein neuer Vorschlag vors Volk: Am 24. November stimmen wir über die Finanzierung der obligatorischen Krankenversicherung ab. Diese soll vereinheitlicht werden. Was das bedeutet und wer welche Position einnimmt, erklären wir dir hier.

Was ist die Ausgangslage?

Heute werden ambulante und stationäre Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) unterschiedlich finanziert. Ambulante Leistungen – etwa Behandlungen bei der Hausärztin, beim Therapeuten oder im Spital ohne Übernachtung – werden zu 100 Prozent durch die Krankenkasse beziehungsweise durch die Prämienzahlenden finanziert. Lässt man sich hingegen stationär im Spital behandeln, übernimmt der Kanton 55 Prozent der Rechnung, bei Pflegeleistungen zu Hause oder im Pflegeheim knapp die Hälfte. Den Rest übernimmt die Krankenkasse.

Die Krankenkassen haben so einen finanziellen Anreiz, dass möglichst viele Patientinnen und Patienten stationär behandelt werden, weil sie dabei nur die Hälfte zahlen müssen. Das führt dazu, dass Menschen unnötig oft stationär behandelt werden, auch wenn eine ambulante Behandlung medizinisch sinnvoller und insgesamt günstiger wäre.

Was will die Vorlage?

Das Parlament hat deshalb eine Änderung des Krankenversicherungsgesetzes beschlossen: Alle Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung sollen von Krankenkassen und Kantonen gemeinsam und nach demselben Verteilschlüssel finanziert werden.

Die Vorlage für die einheitliche Finanzierung von ambulant und stationär erbrachten Leistungen (EFAS) sieht vor, dass Kantone und Krankenkassen die Kosten für alle Gesundheitsleistungen immer gleich aufteilen: Bis zu 73,1 Prozent sollen die Kassen aus Prämiengeldern bezahlen, mindestens 26,9 Prozent die Kantone.

Damit sollen die Fehlanreize verringert und die Zusammenarbeit von Ärztinnen, Therapeuten, Pflegenden und Apothekerinnen gefördert werden. Wenn Kantone und Krankenkasse gemeinsam an den Kosten beteiligt seien, hätten sie ein grösseres Interesse, die medizinisch sinnvollste und günstigste Behandlung zu wählen.

Gegen die Reform wurde das Referendum ergriffen. Am 24. November stimmt die Schweizer Bevölkerung deshalb über folgende Frage ab:

Wollen Sie die Änderung vom 22. Dezember 2023 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) (Einheitliche Finanzierung der Leistungen) annehmen?

Was sagen die Befürworter?

Für die Reform spricht sich ein überparteiliches Ja-Komitee aus, in dem alle Fraktionen der Bundesversammlung vertreten sind. An dessen Spitze stehen Nationalräte und Ständeräte der SVP, GLP, Grünen, SP, FDP und Mitte.

Auch der Bundesrat und die eidgenössischen Räte empfehlen, die Gesetzesänderung anzunehmen. Ausserdem unterstützt eine breite Allianz von Gesundheitsverbänden und -organisationen die Vorlage.

Eine einheitliche Finanzierung stärke die ambulante Medizin und Pflege, argumentiert das Ja-Komitee. Stationäre Aufenthalte gelte es zu minimieren, denn diese bärgen das Risiko von Spitalinfektionen und erhöhten die Belastung des Pflegepersonals. Somit leiste EFAS auch einen Beitrag zur Linderung des Fachkräftemangels.

Nationalrat Benjamin Roduit, Mitte-VS, Staenderaetin Maya Graf, GP-BL, Nationalraetin Melanie Mettler, GLP-BE, Nationalraetin Ursula Zybach, SP-BE, Staenderat Pascal Broulis, FDP-VD, und Staenderat Ha ...
Die Vertreter des Ja-Komitees an einer Medienkonferenz am 8. Oktober 2024.Bild: keystone

Die Vorlage führe auch dazu, dass «finanzielle Einzelinteressen in den Hintergrund rücken», und erleichtere somit die Koordination zwischen Ärztinnen, Therapeuten, Spitex, Spitälern, Apotheken und Pflegeheimen.

Das entlaste schlussendlich laut den Befürwortern die Prämienzahlenden und senke die Gesamtkosten. Es sei «unsozial und völlig absurd, dass die Versicherten mehr bezahlen müssen, obwohl Kosten gespart werden», sagte etwa Grünen-Ständerätin Maya Graf an der Medienkonferenz des Ja-Komitees.

Die beiden wählerstärksten Parteien SVP und SP sind sich indes intern uneinig. So schwenkte die SVP etwa zuerst von einem Ja zu einem Nein, dann zur Stimmfreigabe und entschied sich am Ende trotzdem für die Ja-Parole. Insbesondere das starke Votum von Parteivater Christoph Blocher scheint die Mehrheit der Delegiertenversammlung von der kostensenkenden Wirkung von EFAS überzeugt zu haben.

Die SP fasste hingegen an ihrem Parteitag die Nein-Parole, obwohl prominente Sozialdemokratinnen wie Ursula Zybach, Barbara Gysi oder Mattea Meyer sich für die Vorlage aussprechen. Spitex-Verbandspräsidentin und Nationalrätin Zybach gar an vorderster Front im Ja-Komitee.

Was sagen die Gegner?

Gegen EFAS hat die Gewerkschaft VPOD das Referendum ergriffen. Auch der Gewerkschaftsbund und die Unia engagieren sich für ein Nein.

Sie sind der Meinung, dass die Gesetzesänderung Verschlechterungen für das Pflegepersonal sowie für Patienten und Patientinnen bringen würde. Bereits heute seien die Personalkosten in Spitälern oft zu hoch, insbesondere bei komplexen Fällen. Diese Finanzierungslücken würden oft durch die Kantone gestopft. Wenn mit EFAS die Beteiligung der Kantone an den stationären Leistungen nun «strikt auf 26,9 Prozent festgelegt wird», werde dies nicht mehr möglich sein, argumentiert der VPOD.

Ausserdem verleihe EFAS den Krankenkassen mehr Macht. Neu würden nämlich zusätzlich zu den 35 Milliarden Prämiengeldern jedes Jahr 13 Milliarden Steuergelder durch private Kassen verwaltet. Ohne demokratische Legitimation und Transparenz, wie Pierre-Yves Maillard an einer Pressekonferenz warnt.

Dabei seien die Kassen Teil des Problems: «Sie sind für die Grundversicherung zuständig und gleichzeitig auf der Suche nach Klienten und Klientinnen für ihre lukrativen Zusatzversicherungen», sagt VPOD-Präsident Christian Dandrès. Nicht die Kassen, sondern die öffentliche Hand müsse die Gesundheitsversorgung steuern.

Insbesondere die Pflegeheime sind für den VPOD ein Knackpunkt. Da die Langzeitpflege auch Teil von EFAS ist und die Bevölkerung immer älter wird, hätte die einheitliche Finanzierung noch höhere Prämien zur Folge. Bis anhin haben die Kantone knapp die Hälfte der Kosten der Alterspflege getragen*.

Auch die SP warnt vor steigenden Kosten und schlechteren Arbeitsbedingungen. Die Reform sei von der «Lobby der Privatkliniken und der gewinnorientierten Spitex-Organisationen gezimmert» worden.

Staenderat und SGB-Praesident Pierre-Yves Maillard, SP-VD, rechts, und Personen vom Verband Personal Oeffentlicher Dienste, VPOD, reichen das Referendum mit 57 000 Unterschriften gegen die Initiative  ...
Pierre-Yves Maillard reicht mit Vertretern der VPOD das Referendum mit 57'000 Unterschriften ein, 18. April 2024.Bild: keystone

Wie wirkt sich eine Annahme auf die Prämien aus?

Laut dem BAG werden die Prämienzahlenden im neuen System entlastet. Zwar steigen die Kosten für die Kantone und Gemeinden wegen der Langzeitpflege an, doch diese Mehrbelastung sei noch immer weniger als die Einsparungen, die der Trend hin zu mehr ambulanten Behandlungen mit sich bringe.

Die Gegner sagen eine Entwicklung in die andere Richtung vorher. Was stimmt nun? Prof. Dr. Tobias Müller, Gesundheitsökonom der Berner Fachhochschule, schätzt die Lage folgendermassen ein:

«EFAS könnte tatsächlich Druck auf Prämien ausüben, da Kassen neu einen höheren Anteil der stationären Kosten tragen. Gleichzeitig dürfte der grössere Kantonsbeitrag an den ambulanten Behandlungskosten das Prämienwachstum dämpfen. Welcher Effekt überwiegt, ist schwierig vorherzusagen.»

Wenn mehr Behandlungen ambulant durchgeführt würden, müssten die Spitäler auf die Einnahmenrückgänge reagieren. Deshalb braucht es laut Müller tiefgreifende Reformen. Als Beispiel nennt er die Vergütungssysteme Tarmed und Tardoc, die Ärzte und Ärztinnen für jede Leistung einzeln vergüten.

*In einer früheren Version dieses Artikels hiess es fälschlicherweise, die Kantone hätten bis anhin die Kosten der Alterspflege alleine getragen. Wir haben die Stelle korrigiert.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Rezept gegen die Prämien-Explosion gesucht
1 / 17
Rezept gegen die Prämien-Explosion gesucht
Die Gesundheitspolitik dürfte zu einem der grossen Themen im Wahljahr 2019 werden. So will die CVP per Volksinitiative eine Kostenbremse im Gesundheitswesen einführen. Die Prämien sollen nicht mehr stärker wachsen dürfen als die durchschnittlichen Löhne. (Bild: Parteipräsident Gerhard Pfister)
quelle: keystone / peter schneider
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das könnte dich auch noch interessieren:
15 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
15
    Mit viel Geld gibts die Aufenthaltsbewilligung – «Golden Visa» boomen in der Schweiz
    Das Geschäft mit gekauften Aufenthaltsbewilligungen boomt: Die Zahl der Visa hat seit 2023 über 20 Prozent zugenommen.

    Eine «Gold Card» für 5 Millionen US-Dollar und im Gegenzug unbegrenztes Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten: Dieses Angebot gab die US-Regierung im Februar bekannt. Ein ähnliches Geschäftsmodell existiert auch in der Schweiz – und das bereits seit Jahren.

    Zur Story